wenke.net

MixedMedia on the move

Ifra-Expo 2007: «Neues Publishing»

Statt nur web-printing viel web-publishing Synthese, Synchronisation und Symbiose der Medien

Die Messe des Weltverbandes der Zeitungshäuser, rund 4.000 sind in der in Darmstadt beheimateten Organisation Mitglied, stand ganz im Zeichen der Medienkonvergenz. Des X-medialen. Nicht als eine Zukunftsvision. Sondern als ein massiv-intensives verlegerisches Konzept, dessen Konturenbildung voll im Gang ist.


Die Messehallen boten ein aufschlussreiches zweigeteiltes Bild. Auf der einen Seite heftiger Zulauf zu heavy metal, der betriebsnotwendigen und inzwischen ohne jede Frage zur HighTech-Branche mutierten höchstleistungsfähigen, robusten Printtechnologie mit all ihren vor- und nachgelagerten Raffinessen, Workflows, qualitätsgarantierenden Systemen und einer Vielfalt, die kaum noch Wünsche offen lässt. Ganz ohne Frage, die so gesehen konventionelle, aber durch raffinierte Elektronik und konsequente Digitalisierung extrem leistungsfähige state-of-the-art Printtechnologie ist vom Feinsten, Verlage, die drucken wollen, können aus dem Besten das Geeignetste wählen.

Doch die Auflagen- und Umsatzzahlen lassen immer mehr Verleger und die Führungskräfte der Verlage zu der Erkenntnis kommen, Drucken ist schön und gut, reicht aber zur Existenzsicherung nicht mehr aus. Also muss man sich den Neuen Medien widmen, egal, welchem davon oder in welcher Kombination. So wird es immer wieder gesagt – allein, die Hallen der Ifra zeigten ein anderes Bild.

Denn in Wien war aufgeboten, was die Verlagswelt bislang noch nicht gesehen hatte an E-medialen Möglichkeiten und Lösungen. An jungen, quergedachten Ideen, an soliden Weiterentwicklungen längst etablierter Digi-Cross-Multi-E-Web- und wie auch immer Media. Indes war der Besucherandrang eher mässig. Manche Stände, die die geistige Potenz einer zu anderem entschlossenen, computerintelligenten jungen Generation zeigten, sogar leer zu nennen. Wo waren sie, die Damen und Herren Verleger, die sich doch so gerne rühmen, trotz anhaltender Flaute noch über stolze Säckel voller Moneten zu gebieten? Wo waren sie, um einen Trend mitzumachen, der ohne sie sowieso an Dynamik gewinnt? Zumindest nicht in den Scharen, wie sie sich um die Kaffeetheken und Verköstigungsstationen mit ihren mehr oder weniger bequemen Tischen und Sitzgruppen der etablierten Platzhirsche einfanden, waren sie auf der Suche nach dem unternehmensbelebenden Kick.

Meine Beobachtungen dazu sind, und diese stützen und ergänzen sich aus zahlreichen Gesprächen bzw. Analysen von Anbietern und Beobachtern:

1. In der Tat ist bei manchen Verlagen und Unternehmen der monetäre Leidensdruck noch nicht so hoch, als dass sie nicht doch noch geneigt wären, die Illusion aufrecht zu erhalten, die Krise sei eine vorüber gehende und man können sich schon irgendwie mit der Situation arrangieren, ohne sich großartig fürs und ins Neue exponieren zu müssen. Das mag im Einzelfall zu sein, generell gesehen ist es ein tragischer Irrtum, der den Verlust von Arbeitsplätzen und gar ganzen Unternehmen zur Folge haben wird. Verharren wird immer mehr zur tödlichen Falle.

2. Entgegen aller höflich gemeinten anders lautenden offiziellen Äußerungen, auch vor den Mikrofonen von PrintRadio, ist Innovationswille und -Fähigkeit auch eine Kombination aus den Faktoren Lebensalter und unternehmerische Triebkraft – um nicht ganz offen und ehrlich zu sagen, unternehmerische Intelligenz. Je jünger die handelnden oder verantwortlichen Personen sind, desto weniger leuchtet ihnen ein, warum Print das Dominante sein soll und wieso die E-Medien, mit denen sie bis dato gelebt haben und glücklich waren, nun in der heiligen Welt der sich selbst zum eigenen Universum zählenden Verlage keine bedeutende Rolle spielen sollen.

3. Nicht Technik, sondern unternehmens-, märkte und vor allem medien-gestaltende Phantasie ist gefragt. Die Verleger, Verlage stehen vor einer Aufgabe, die existenzieller und prinzipieller nicht sein könnte. Sie müssen nämliche ihre Position, ihren Markt, ihre Aufgabe, ihr USP neu erfinden. Es erwischt sie voll und ganz, was John J. Donovan, ein IT-Guru, vor etwas mehr als einem Jahrzehnt eindringlich geraten hat: Reinvent your business on the web. Fast könnte man kalauern: von web-printing zu web-publishing; wäre die Sache nicht so existenzentscheidend ernst und dieser Satz von einer fundamentalen Wahrheit: Übertrage das, was bislang die Rotationen geleistet haben auf das, was die Netze, vor allem das Internet tun kann, um die immer noch geschäftegeneriende Funktion „Verlag“, Publisher am Leben zu erhalten und mit neuen Impulsen frisch zu belegen.

4. Klar und deutlich, ohne jede Ausnahme: Es geht NICHT darum, das Drucken zu ersetzen. Es geht IMMER darum, das Drucken zu ergänzen oder besser noch, es in der Zeit gerecht werdende mediale Konzepte einzubinden; es geht nicht um die Konfrontation der Medien, es geht um ihre Synthese, Synchronisation und ihre Synergien.

Quintessenz und Perspektive

Die Branche hat keinen Grund, zu jammern. Es gibt phantastische Perspektiven und saustarke Lösungen. Wem es nach x-, cross-, multi-, e-medialem zumute ist, der findet sich im Paradies der Möglichkeiten wieder, so er denn will und offenen Geistes ist. Die vielen tollen Programme der Redaktionslandschaft sind ohnehin schon weitgehende multimedial oder können an solche Lösungen problemlos angebunden werden. Die Qualität wird durch zahlreiche Techniken und Software nicht nur ermöglicht und stabilisiert, sondern als „Problem“ eliminiert; man muss sich nicht mehr um Qualität sorgen, man muss sie nur noch organisieren. Sie ist in jedem Falle gut erreichbar. Gut schließt „wirtschaftlich“ immer ein.

Viele Menschen sind längst bereit, crossmedial zu arbeiten; zahlreiche Redaktionen in aller Welt beweisen das. Die Rezipienten (früher: Leser, Hörer, Zuschauer) sind es eh und schon längst – mixedmedialer Medienkonsum ist zum Alltag geworden. Der Markt ist da, die Möglichkeiten sind es auch. Die IFRA in Wien bewies es. Angenommen und mit Freude zelebriert haben es die Verlage in ihrer schieren Vielfalt allerdings noch nicht. Mehr als schade. Tragisch ist es fast schon. In diesem Sinne: a happy mixedmedia-future. Auch ohne die, die immer noch zögern und die falschen Fragen stellen.

Der IFRA als Organisation muss man jedoch bescheinigen, dass sie seit Jahren schon die Themen vorantreibt und mit unermüdlicher Geduld Aktion für Aktion startet, die Notwendigkeit der Veränderungen bewusst zu machen und gleichzeitig – das ist vor allem wichtig – die Lösungswege aufzeigt. Durch Seminare, Studienreisen, Begegnungen einerseits. Durch intensive Berichterstattung im Sinne von „best practice“ andererseits. Hier haben die Verlage eigentlich alles, was sie brauchen, um sich auf die Reise zu machen.

Die Zeit ist gekommen

Freilich ist dies eine Reise ins Ungewisse. Aber keineswegs „Wild West“-Zeiten, wo es erstens kein Gesetz zu geben schien und man zweitens schon lange siedelnden Bewohnern Land und Leben raubte. Nein, mixed-, blended-, multiple media, das ist Aufbruch in etwas, was es so noch nicht gab, wo es also weder ein Richtig noch Falsch geben kann, solange der Markt nicht darüber entschieden hat. Doch auch dieser muss sich ja erst einmal formen und an Neues gewöhnen. Es ist also alles offen. Ideale Zeiten für Unternehmer, Entrepeneurs, spinn-offs, – Newcomers are very welcome.

Es sind spannende, es sind gute Zeiten. Und die Lösungen, die einen a la longue glücklich machen, sind vielleicht die, die heute so klein sind, dass man extrem skeptisch ist, wenn man sie sieht.

Doch jeder, der einen Garten pflegt, weiß nur zu genau, wie winzig ein Spross sein kann, aus dem eines Tages ein ertragreiches Gewächs mit köstlichen Früchten heranreift. Zwei Dinge braucht man, um es zu erleben: den Mut anzufangen, und die Geduld, das Pflänzlein zu pflegen. Und natürlich hier den berühmten Grünen Daumen – im Falle der all-media-newspaper das berühmte Quentchen unternehmerisches Glück. Daher: nun ist, mehr als lange schon, das „Bauchgefühl“, die Intuition gefragt. Nur sie kann jetzt helfen.