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Musik. Krach. Wien.

Der Lärm und die Musik

Ich weiß nicht, wie Sie es empfinden. Aber mir geht die Permanenz und extrem nahe bei Trash, Müllkübel, angesiedelte Qualität akustischer Belästigung mächtig auf den Keks. Beinahe jede zweite oder dritte gastronomische Einrichtung verlassen meine Frau und ich ohnjedwede Einnahme von Speis und Trank, ja sogar ohne Auswahl eines in Frage kommenden Sitzplatzes pirouttenhaft auf dem Absatz kehrt machend, weil uns dieser Würgereize erzeugende Einheitsbrei computergenerierter inhaltsleerer Musik – oder an und für sich gar nicht so schlechte Musik in einer Lautstärke – entgegenhallt, die dem mit wohligen Schmausen verbundenen Wunsch nach Ruhepause diametral entgegen steht und seine Erfüllung unmöglich macht.

Ob im Tempel der Konsumgläubigkeit, vulgo Kaufhaus, oder neuerdings während rumpelnden Wolkenüberflüge im Discount-Airliner, in der Artzpraxis vor allem (Medizinklempner, nachdem man drei Stunden wegen der überforderten, unterbezahlten Rezeptionshühner im Schalldauerbeschuss des unbelüfteten Wartezimmers jegliche Tagesplanung obsolet werdend erleben musste: „Oh, Sie haben aber hohen Blutdruck!  – Quacksalber!), ob vor, während, nach einem so genannten Sportereignis – ewig diese Beliebigkeit arrogant und fälschlicherweise Musik genannter Töne. Ja, Beliebigkeit.

Das Haus der Musik in Wien, das trotz, wegen oder wohleingebettet rhythmisch hinter würdig-barocker Fassade mitten im 1., also ersten Bezirk, didaktisch-museal aufbereite Klangexperimenträume ebenso bereit hält wie nicht minder kitschiges Andenken an all das, was dem durch „alles auf einen Blick“-Reiseführer ge- respektive ungebildeten Touristen ohnehin als Synonym für die Kombination „Wien und Musik“ aufgedrängt wird. Also Walzer und die Straußens, Liszt und Mozart, k. und k. Märsche samt deren Komponisten, Interpreten und Globalverbreiter, wozu natürlich das Neujahrskonzert des Wiener Konzertvereins und und die eigens dafür aufgebotene Tafel der Triumphe der Stardirigenten zählt.

Ach ja, Museen sind ja, wollen sie als modern gelten, besucher-interaktiv: denn zu dieser Riege der Stardirigenten darf man sich gesellen, wenn man den Laserpointer-Dirigierstab in die Hand nimmt und das videografisch im Takt der eigenen Armschwünge dahinruckelnde Orchester versucht, in gleichmäßiges Musizieren zu bringen, was trotz intensiver Übung im Stile seniorengerechter aquagymnastikgerechter Armwinkereien zur Abwehr osteoporotischer Maläste eher kaum gelingt. Worauf, als running gag sozusagen, im Video ein Musiker aufsteht und seine Kollegen auffordert, dem Dirigenten doch endlich zu sagen, wie schlecht er sei.

Ach, sagte nämlicher als ernsthaft anzusehende Musikus das doch mal über das Gedudel heutiger, vor allem auch öffentlich subventionierter Radiosender. Um die Dramatik der  Zumutung gegenüber den Ohren der gestressten, genervten, oder wie Komponisten-Kollege und Wien-Fan von Beethoven, Ludwig, ebenfalls immer mehr zur Taubheit tendierenden heutigen Allgemeinbevölkerung subtil, aber wirkungsvoll aufzuzeigen. Um klarzumachen, wie sehr Harmonie und Hirnlosigkeit verwoben sind, hat sich das Museum Verdienste erworben.

Eines davon ist ein Zufallsgenerator, wie ihn, nur elektronisch und ein wenig vielfältiger, auch mein Standardnormalapplemac aufgrund eines sonderangebotsartig preiswerten Programmes ohnehin an Bord hat. Zugegeben, das Haus der Musik wahrt da mehr musikalische Würde und zeigt die würfelartige Beliebigkeit der Musik im Stilklange des Mozartismus eben anhand des genannten Gegenstandes: der Besucher kann sich einen Walzer zusammenwürfeln. Die Augenzahl bestimmt eine Notenfolge, ergo lassen sich bei zwei Instrumenten und vier Takten immerhin einige hundert scheinbarer Zufallsmelodien „komponieren“. Die dann brav vorgespielt werden und die man als kostenpflichtigen Notendruck auf einer Urkunde mit in den Rast des eigenen Lebens nehmen darf. Als Kollege des Wölfels sozusagen, wie jenes zu Lebzeiten zur Verarmung neigende angebliche Genie gerne insiderisch-wohlwollend, vereinnahmend genannt wird. Im Armengrab verscharrt, hat seine zwischen Ausnahmegenie und billiger Dutzendware kaum einzuordnende Komponiertätigkeit eine ganze Musikindustrie hervorgebracht, die heuer, 250 Jahre nach seinem Eintritt in die Menschheitsgeschichte, in Wien ebenso zur allergie-erzeugenden Überdrußaufdringlichkeit geworden ist wie die für unsere Tage so charakteristische Techno-, Rap-, Beat-, Disco-Musik.

Deren Herkunft ohnehin der Computer ist, das heutige Gegenstück zu den damaligen Vielschreibern wie Bach oder eben Mozart. Was heute die Charts sind, waren früher die Höfe oder auch die Kirchen, die ständig und unaufhörlich nach Neuem verlangten. Was dann sehr schnell einen Stil zur Masche verkommen lässt. Kunst wird zur Dudelei. Damals. Heute dagegen versucht man frech Dudelei als Kunst darzustellen.

Aber im Haus der Musik, Kultur geht vor Effekt, handelt man die akustischen Müllhalden der Jetztzeit wenigstens noch erlebnispädagogisch ab. Da darf man die eigene Stimme in Mikrofone hauchen, brüllen, stottern oder stöhnen, auf dass ein nicht näher benannter Verzerrcomputer aus nämlichem Stimmlaut eine mechanisch bis synthesizerhaft verzerrte Lautfolge macht, deren unwiderholbar momentane Darbietung Klangexperiment genannt wird. Das ist zwar in Zeiten allgegenwärtiger Computer und mehr noch, einer sich durchaus beachtenswerter Beliebtheit erfreuender Karaoke-Welle weder etwas Neues noch Besonderes, macht aber wegen der konsequenten mystischen Dunkelheit der zu durchwandernden Museumsräume und ihre Assoziation an die Unendlichkeit des Weltraums wenigstens noch Spaß und ist den Eintrittspreis wert.

Zumal man aus dem Weltraum auch Klänge hören und erleben darf (was man auch per Internet auf der Nasa-Website genau so könnte), etwa das in Akustik umgesetzte Singen, Heulen, Rauschen und Sirren von Jupiter, Sonnenstürmen oder radioaktiver Hintergrundelektronik des realen Weltalls, also unseres Seins. In das wir gleich zu Beginn der Experimentalstrecke auf eine allerdings in dieser Art wohl eher erst- und bislang einmalige Art gesteckt werden, nämlich akustisch-direkt in die Gebärmussterhöhle, wo wir dann angeblich (obwohl wir ja alle dort waren, wissen wir es nicht mehr) jene Töne in der Form hören, die den Fötus während seiner Kuschelzeit tief im Körperinneren begleiten: Pochen, Rauschen, dumpfe Schläge – biologisch-dokumentarfilm-interessierte Menschen werden an die Unterwassertöne von Delfinen und Walen erinnert. Vielleicht sind wir ja, rein akustisch, verwandter mit manchem vor allem Seegetier, als wir es uns vorstlelen können. Ohr sei dank kann man wenigstens darüber phantasieren.

Das Haus der Musik in Wien verabschiedet uns als klanginteressierte, alltagsmusikgeschädigte Besucher wenigstens mit einer Episode aus dem richtigen, echten Leben. An irgendeiner der berührungsheischenden Bildschirme, die stets mit nach korrekter DJ-Optik ausgestatten Kopfhörern begleitet sind, wird man aufgefordert, mittels viruteller Schiebereglern und Auswahl einer Streuwiese akustisch vorgefertigter respektive konservierter Schallquellen und Ereignisse eine eigene Beliebigkeittskomposition zu erstellen. Eben nicht im Walzerrhythmus wie in der Abteilung Altwien, sondern eher analog dem Krach, den man auch draußen auf der Straße haben könnte. Für milde 7 Euro und 20 Cent ist dann die Dreiminuten-Einmaligkeit auf CD gebannt und gebrannt im Museumsshop abholbar. Ja –, denkste. Dort angekommen, Namen genannt und das eigene musikalische Erbe an die Menschheit zum Kaufe erheischt, verkündet das durchaus kompetent agierende Wienfräulein mit dem sympathischen Tremolo des Entsetzens in der Stimme, der von einer musikalischen Vor-, Neben- oder Naturausbildung zeugt, dass der File, soeben gesichtet, korrekt als „kopiere und brenne“ angeklickt, plötzlich und zum ersten Male überhaupt ins Nichtwiederauffindbarkeitssein der geöffneten Fenster verschwunden sei. Ich schaue, einerseits beruflich kenner- und anderseits wegen des Zustandes der so genannten Freizeit gönnerhaft auf den Bildschirm der fassungslosen Elevin und stelle disharmonisch fest: Aha, Windows! Passt eben zu Chaos.

Fröhlich verlasse ich, klingend-schwingend, melodisch-methodisiert, das Museum und beschließe, die richtige Wahl getroffen zu haben, wenn ich Bericht, Wieder- und Weitergabe der klangfüllenden Erlebnisse im musischen Wien samt alle meine Kompositionen fürderhin, wie bisher auch, dem Mac anvertraue. Vielleicht schafft ja dann jene Komposition, die ich allein durch die Bewegung meines eigenenen Körpers, aufgefangen und elektrisch impulsiert durch einen Röhrenozillographen und hernach durch den Ab- und Aufruf akustischer Versatzstücke als spontane Wenke-Symphonie Nummer eins ins Leben gerufen habe, den Weg in den Olymp der Welt des schönen Klangs.

Der dank Mozart und der heutigen Dauerbeschallung das geworden ist, was Musik niemals verdient hat: eine Belästigung, für deren schweigende Nichtdarbietung man inzwischen eine tiefe Dankbarkeit empfindet.

Gegenben zu Wien, den 18. November a. D. 2007