Von tollkühnen Helden zu rationalen Piloten
Web-to-print-Studie 2007
Bernd Zipper, Sandra Winter, Sandra Hoppe:
Web-to-Print 2007 – Lösungen, Verfahren,
Märkte
Herausgeber: Zipcon Consulting GmbH, Essen,
www.zipcon.de
Verlag: Print & Media Forum AG, Wiesbaden,
www.print-media-forum.de
Über 500 Seiten, DIN A 4, Paperback
Preis: 850,- Euro netto, plus Versandkosten
(Achtung: dies ist kein „Buchpreis“, sondern der
Preis für eine komplette Studie, zu der es im
deutschsprachigen Raum absolut keine Alternative gibt)
Web-to-print ist ein epochaler „Kulturwechsel“ in
der Druckindustrie. DTP hat die technische Grundlage geschaffen.
Standard-Datenformate wie erst PostScript, dann PDF nebst
standardisiertem Messen+Prüfen (Stichwort: Color Management)
schufen weitere Voraussetzungen – eine solche etabliert sich
derzeit unter dem Kürzel JDF. Und mit Web-to-print wird nun
möglich, was alle Welt auch von der Druckindustrie erwartet:
sie ist im Zeitalter vernetzer Produktion angekommen. In dem, was man
aus Besteller-/Einkäufer-Seite auch gerne e-procurement nennt.
Es ist die Welt der geregelten Verhältnisse.
Man kann es so vergleichen: Kaum hatten Pioniere, visionäre
Enthusiasten und mutige Konstrukteure fliegende Gebilde geschaffen, die
eher der Idee von Tollkühnheit denn den Traum vom Fliegen
verwirklichen, bedurfte es risikobereiter Helden, sich den
zerbrechlichen Monstren anzuvertrauen und mit den Wolken zu tanzen. Die
Fliegerei war zwar geboren, von Alltagstauglichkeit war sie
vorläufig aber noch weit entfernt. Doch mit den Jahren
änderte sich das und spätestens, als vor einem halben
Jahrhundert Jets aufkamen, war es vorbei mit dem „Fliegen mit
dem Hintern“. Statt dem Gefühl musste man
Instrumenten trauen. Statt Erfahrung brauchte man Training. Statt dem
Kampf gegen die Unwägbarkeiten galt es, eine berechenbare
Beständigkeit zu organisieren.
500 Jahre lang waren Drucker auch tollkühne Helden im Kampf
gegen die Unwägbarkeiten zwischen Manuskript und fertig
gebundenem Buchdeckel. Es wurde „aus dem Bauch
heraus“ improvisiert, was das Zeug hielt. Meist ging es gut
– aber nie wusste „man“ (sprich: Kunden
und Besteller), ob, wann, wie, warum und bei wem es gut ging. Oder eben
nicht. Und jeder Auftrag war so, als würde man
¬– vergleichsweise – für jeden
Flug ein Flugzeug neu bauen. Druckaufträge konnten ganz
schön „nerven“: ein jeder fing, immer
wieder gleich, „bei Null an“.
Im Zeitalter der Computer ein untragbarer Gedanke. Eine „push
only one button“-Lösung musste her. Und da es sie
eigentlich schon gab, war es nur noch Fleiß und Phantasie,
sie auch in der grafischen Industrie möglich zu machen.
Bestell- und Produktionsvorgänge für Drucksachen
sollten so sein, wie schon vieles im Internet ist: ein 365/24-Shop,
rund um die Uhr geöffnet. Mit allem, was kunde so braucht,
man(n) erwartet und frau für selbstverständlich
hält: die Erfüllung naheliegender Wünsche.
Das erforderte vor allem bei den Druckern ein Umdenken, dessen
Schwierigkeit mit einem ungesicherten Mont-Everest-Aufstieg ohne
Sauerstoff-Maske gleichzusetzen scheint.
Die Drucker mussten
-erstens ihre eigentlichen Arbeiten, Leistungen, Produkte, Dienste,
Möglichkeiten und Varianten strukturieren, systematisieren,
kategorisieren und dann auch noch in einem für
„normale Menschen“ verständlichen
Vokabular benennen, und
-zweitens Abschied nehmen von der Gewohnheit, Preise als geheime
Kommandosache zu betrachten, die durchaus solch
„kundenfreundlichen“ Einflüssen wie
Geschäftsgang, Lust und Laune des Chefs oder Chefkalkulators,
der Vorliebe für bestimmte Arbeiten oder ganz einfach der
Drohung der kreditgebenden Bank unterworfen waren; um
schließlich
-drittens ihre Produktion so zu standardisieren, organisieren,
synchronisieren und transparant zu machen, dass zuverlässig
voraussagbare Zeiten, Kosten, Qualitäten und sonstige
Eigenschaften angeboten und dauerhaft eingehalten werden
können.
Steigt man in ein Flugzeug, dass um x Uhr y in A wegfliegt, erwartet
man, dass es um z Uhr soundso in B ankommt, so wie im Flugplan
angekündigt und im Ticket bestätigt. Egal, welches
Wetter herrscht, welches Fluggerät zum Einsatz kommt, wie die
Verhältnisse auf den Flugplätzen und in den
Lufträumen gerade ist. Man hat es eilig und keine Zeit zum
Warten, also Abflug bitte. Und zwar sofort.
Warum sollte der moderne Mensch, der nun einmal so geworden ist und
nicht mehr anders sein will, beim Bestellen von Drucksachen nun
plötzlich in jene Geduld verfallen, die einem meditierenden
Mönch in einem glücklichen Himalaya-Tal gut anstehen
würde? Nichts spricht dafür. Auch Drucken muss, was
denn sonst, dem Zeitgeist unterliegen. Der da heißt: Ich,
sofort, hier, alles. Zack-zack. I push the button – You do
the rest.
Das und nichts anderes ist web-to-print. Eine generelle Klasse von
Soft-, Org-, Brain- und Middle-Ware, die es ermöglicht, via
Web Drucksachen zu generien. Entweder neu, einmalig, individuell, als
Auswahl aus Modulen, Elementen, Vorschlägen, Templates und
Fertigungsvarianten. Oder als ein Abruf von Prototypen respektive
vorkonfigurierten Druckprodukten. Kalkulation,
Auftragsbestätigung, Terminvorgabe und sonstige Informationen
oder rechtlich-notwendige Dokumentationen inkludiert, weil automatisch
generiert.
Es ist, in Kombination mit absolut notwendigen, in ihrer
Leistungsfähigkeit noch recht unterschiedlichen Produktions-
und Workflow-Automatismen eine mehr oder weniger
„mannfreie“ Produktionsstrecke. Menschen sind dort
nicht nur notwendig, sondern mehr denn je wünschenswert, wo es
gilt, Konflikte zu lösen, Vorschläge zu machen,
Entscheidungen zu treffen (was man pauschal als Beratung bezeichnen
kann) und/oder den Kunden Lust auf noch mehr Drucksachen zu machen.
Bedienungskräfte sind dort überflüssig, wo
Scripte und Programme, Routinen und Rechenleistung ewig gleiche und
vorherseh- und planbare Arbeitsschritte ausführen
können. Was auf die Kostenstruktur einen signifikanten
Einfluss haben kann – Richtung Discount, versteht sich.
Web-to-Print ist in der Welt und wenn man vergleichen darf, die
Lösungen sind noch nicht die eleganten Jets, so wie man sie
zwei zwei, drei Jahrzehnten kennt. Eher noch so ähnlich wie
die gute alte Tante Ju der dreißiger Jahre, als
Flugliniendienste sich langsam etablierten. Oder die
legendäre, urgemütliche DC3, vielleicht auch schon
ein wenig wie jenes nervös-tänzelnde
Pioniergerät des Jet-Zeitalters, die Caravelle (wer
jüngeren Jahrgangs ist, mag den letzten Satz durchaus aus dem
Gedächtnis streichen, die älteren werden sich
vielleicht erinnern).
Nein umfassender Komfort ist es noch nicht, was da geboten wird, aber
andererseits ist man aus der „ein Anfang ist
gemacht“-Phase schon raus. Man ist, wie man in der Politik
und Religion gleichermaßen sagen würde, auf einem
guten, richtigen Wege. Und keineswegs nach dem Motto „Irrtum
in die richtige Richtung“ unterwegs. Nein, es ist
zielgerichter Praktiker-Sinn, der sich da präsentiert.
Präsentiert auf mächtigen rund 500 Seiten. So
voluminös beeindruckend ist das erste deutschsprachige Werk,
das den Anspruch erhebt und, vorweg gesagt, deutlich gesagt, dem auch
voll und ganz gerecht wird, eine Übersicht der marktexistenten
Lösungen zu geben. Bernd Zipper, der die auf diesem Gebiet die
Themenführerschaft im deutschsprachigen Raum
übernehmende Beratungsgesellschaft zipcon gegründet
hat und betreibt, hat diese Bibel des Web-to-Print mit der
Jahrgangszahl 2007 zusammen mit dem bvdm, dem Bundesverband Druck und
Medien e.V., Sitz Wiesbaden, herausgegeben. Bernd Zipper und sein sach-
und fachkundiges Team haben die Inhalte recherchiert, katalogisiert,
stukturiert und kommentiert. Das beeindruckt durch den Fleiß,
der sichtbar dahinter steht, aber auch durch die nützliche und
praktikable Unaufgeregtheit, mit der das Werk daherkommt.
Es ist pseudo-tabellarisch. Das heißt, man schläft
weder optisch noch mental über endlosen Tabellen ein, die
gerne zu Zahlenfriedhöfen mutieren. Nein, dies wurde geschickt
vermieden. Eher liest es sich wie Kochbücher zu sein pflegen:
als eine Liste der Ingredenzien. Screenshots, Grafiken,
längere beschreibende Textpassagen gibt es dort, wo sie
offensichtlich verfügbar, journalistisch gewissenhaft
produzierbar und in erster Linie, wo sie angebracht, von
Nützlichkeit und ergänzender Klarheit waren und sind.
Es ist kein Buch, das man „lesen“ im
herkömmlichen Sinne kann; bei der ersten Seite beginnend und
dann Seite um Seite. Es ist ein Studienbuch, in dem man
blättern, „wälzen“ muss und soll.
Das bei Sitzungen, besser noch, bei der Vorbereitung zu
Investitions-entscheidenden Meetings zur Hand sein muss. Ein Buch,
welches im Kollegenkreis von Hand zu Hand gehen soll (im Sinne von
Autor und Verlag sei angemerkt, auch Kauf und Bezug mehrer Exemplare
auf einmal ist keineswegs verboten, so dass auch das leidige Thema
„Ist Kopieren Copyright-Verletzung?“ vom Tisch
ist). Ein Buch, dass viele nützliche, sinnvolle,
praxistaugliche Details je Lösung, sprich Software oder
Anbieter, bereithält, aber auch dank biederem, aber recht
geschicktem Layout keineswegs den Leser erschlägt oder gar
verwirrt. Und natürlich werden auch Adressen genannt, so dass
man vom Buch aus sich weiter orientieren und informieren kann.
Man kann es so oder so werten, als Vor- oder als Nachteil, dass der
Bereich betrachtender Features, Backgrounds, ein Kompendium oder gar
ausführliches Glossar fehlen. Denn solches gibt es ja schon
und immer mehr in den üblichen Fachzeitschriften und so
vermeidet die Web-to-Print-Studie, sich von ihrer reinen
Fakten-Sachlichkeit zu entfernen.
Denn andererseits muss man auch wissen, dass es ein Buch ist, das nicht
alleine steht. Sondern Bestandteil einer kontinuierlichen
Informationskampagne der zipcon consulting im Verbund mit dem bvdm ist,
diese eher prosaische Aufklärung und Diskussion auf andere
Plattformen zu hieven, etwa den nun schon wiederholt
durchgeführten Web-to-Print-Kongresses. Und, das ist nun
einmal das Kerngeschäft des Berater-Boliden Bernd Zipper, er
und sein Team stehen, gebührenpflichtig, natürlich
individuell und persönlich mit Rat und mitenscheidender Tat
jedem ernsthaften Interessenten und Investoren zur Seite.
Bleibt noch, sehr eindringlich, zu erwähnen, dass dieses Buch
doch einen, gar nicht mal so kleinen Teil hat, den man im weitesten
Sinne zur Klasse „Fachbuch“, also
Hintereinanderweg-Lese-Literatur zählen kann. Es sind etliche
Kapitel, die sich mit den Business-Modellen im Web-to-Print-Bereich
beschäftigen; aus Kunden- wie auch aus Produzenten-Sicht.
Anhand konkreter Lösungen und realer Impementierungen. Der
Markt wird untersucht, es werden Prognosen gewagt, man stellt Anwender
und Hersteller vor.
Allein, man darf nie vergessen, dass Web-to-Print in der
Realität keine stand-alone-Lösung ist, sein kann und
darf. Sie muss eingebettet sein in die allgemeine und weitergehende
Firmenstrategie, in das Netzwerk der netzbasierten Workflows. Sie ist
ein sehr wichtiges Element, wenn sie synchronisiert wird mit anderer
„Modernität“ in einem Unternehmen.
Dies vor Augen, ist die Web-to-Print-Studie 2007 nicht nur ihren Preis
wert, sondern rechtfertigt auch die Annahme, dass ihr ein neuer
Jahrgang mit aktualisierten Daten folgen muss und folgen wird.
Die Studie ist deshalb so wertvoll und meiner Einschätzung
nach für Praktiker in den Betrieben ein exorbitantes Tool der
Kosteneinsparung, weil sie konkret Fehler vermeiden hilft und jemanden,
der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, in
kürzester Zeit auf den richtigen Weg bringt. Ein
Kompaktstudium der Sonderklasse also.